Auch wenn der Umsatz mit physischen Tonträgern weiter sinkt, werden gerade in den musikalischen Nischen immer mehr Labels gegründet. Im Bereich der experimentellen Musik hat die Edition DUMPF vor kurzem ihre achte Veröffentlichung herausgebracht. Das 2010 vom Zürcher Schlagzeuger und Komponisten Martin Lorenz gegründete Label setzt besonders auf einen Tonträger: die Schallplatte. Das hat mehr mit der Tradition der Turntablisten zu tun als mit dem aktuellen Trend. Ein Porträt.
Schlicht und einfach chic sind die Plattencover: auf weissem, grauen oder schwarzen Tonkarton stehen nüchtern in Helvetica-Kapitälchen Interpret, Titel und der Name des Labels: DUMPF. Dieses schnörkellose Design lässt die Musik erahnen, die sich hinter den Hüllen verbirgt. Es sind Klänge mit einem eigenen Charakter von Rohheit. Rohheit, die an beiden Extremen des Bearbeitungsspektrums steht: Am einen Ende ist der Rohstoff Klang der Ausgangspunkt – abstrakt wie unbearbeitete Materie. Am anderen Ende ist diese Klangmaterie so weit durchgeknetet, dass auch ihr keine eindeutigen Gesten oder Bilder zugeordnet werden können – sie wird wiederum zu roher, abstrakter Masse.
Der Name des Labels ist Programm, wie Martin Lorenz erklärt: «Ich bin auf eine ‘dumpfe‘ Attitude aus. Wenn Klänge auf eine gewisse Weise primitiv sind, können sie objektiver sein. Und das bereichert die Hörerfahrung – denn zu viel Subjektivität lenkt oft vom Klang als Phänomen ab.» Für diesen Zugang hat Lorenz ein Bild parat: «Ein Wasserfall hat weder einen dramatischen Ablauf noch eine expressive Gestik und es passiert immer dasselbe. Trotzdem kann man stundenlang gebannt hineinschauen.»
Zwischen instrumental, mechanisch und elektronisch
Diese Faszination am Ereignis zieht sich durch die dritte DUMPF-Veröffentlichung «SIGNS – SHAPES» (2010) von der serbischen Pianistin Teodora Stepancic und Martin Lorenz selbst – erschienen als CD. Hier wird der wallende Sog des Wasserfalls in seine Einzelteile zerlegt: in sich reduzierte Klangblöcke aus impressionistischen Tonfolgen, perkussiven Passagen, bombastischen Klangwänden und Geräuschen lösen einander kontrastreich ab und erzeugen Reibungswärme. Lorenz verbindet diese Schauplätze, indem er mit präparierten Schallplatten arbeitet, die Nadel über die LP schleift oder mit dem Tonabnehmer Klickgeräusche erzeugt.
Ecken und Kanten hat auch die LP OVER/UPPER des Genfer Schlagzeugers Alexandre Babel. Holz, Metal und Stein legen die mechanisch-elementare Basis dieser widerspenstigen Komposition. Auf den Drums wirbeln auch kleine Elektromotoren, an denen Babel Kieselsteine befestigt hat. Im Spiel sind aber auch die Finger des Elektronikproduzenten Roli Mosimann – seine nachträglichen Eingriffe am Mischpult wirken in die Kompostion hinein: so schaukelt sich z.B. der Klang von Knallfröschen durch Delays und Raumeffekte zu komplexen Klangexplosionen hoch.
Die Platte ZWISCHEN (2012) der Zürcher Klangkünstlerin Karen Geyer alias GRAUTON lebt neben einer skordierten Zither – er bildet den meditativen roten Faden der A-Seite – von zweckentfremdeten Alltagsgegenständen wie dem nervösen Klappern von elektronisch verstärkten Topfdeckeln oder dem Rotations-Variationen von elektromechanischen Apparaturen wie einem Ventilator. Die Arbeit des Abmischens war auch hier mehr als nur eine Verfeinerung: intuitiv greift Geyer in die vom Maschinenorchester erzeugte Klangästhetik ein, verstärkt gewisse Klänge oder verändert die Hierarchien der einzelnen Spuren.
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DUMPF zeichnet sich also nicht nur durch die Attitude der Rohheit, sondern auch durch die aufwendige (Post)produktion aus. Dass die Musikerinnen und Produzenten beim Mastering eher «unorthodox» vorgehen – z.B. indem sie den Einsatz von Effekten erlauben – und die Komposition somit erst nach dieser Phase ihre Vollendung erlangt, ist eine aktuelle Tendenz in der CD- und Plattenproduktion im Bereich der experimentellen Musik. Dies zeigt sich z.B. auch beim Kölner Label Grob, das sich vor allem auf improvisierte Musik spezialisiert hat (siehe NZZ-Artikel von Olaf Karnik). In die experimentelle Musik hält also immer mehr eine Mastering-Praxis Einzug, die u.a. in der Popularmusik Gang und Gäbe ist. Nicht zuletzt erhöht das auch die Attraktivität des Tonträgers selbst: er soll bewusst mehr sein als eine Konzertdokumentation, sondern ein eigenständiges Kunstwerk.
Die Schallplatte als Klangerzeugerin
DUMPF-Releases wie die von Alexandre Babel und GRAUTON/Karen Geyer sind nicht spezifisch an das Medium Schallplatte gebunden, erzählt Martin Lorenz: «Sie hätte durchaus auch einfach auf CD erscheinen können. Aber gerade an Konzerten verkauft sich Vinyl besser». Es verwundert wenig, dass die Haptik, die Klangqualität und nicht zuletzt die mit der Schallplatte verbundene bewusste Musikhör-Praxis dem Geschmack und den Ansprüchen von Hörerinnen und Hörern experimenteller Musik entspricht. Bei DUMPF erhalten sie gleichzeitig auch Downloadcodes für ITunes. Bei den Künstlerschallplatten für Liebhaber in den auf 20 Stück limitierten Auflagen sind die ITunes-Versionen zum Teil erweiterte Formen. Am Charme des Unikats dieser handgeschnittenen Platten ändert dies aber nichts – digital und analog stehen in keiner Konkurrenz zueinander.
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Einmalig an DUMPF sind vor allem die Releases, bei denen das Medium der Schallplatte die Komposition beeinflusst: auf der B-Seite der zweiten LP von MACHT MAL EINEN KREIS des Berliner Klangkünstlers Thomas Rehnert sind die Rillen so geschnitten, dass sie nicht wie sonst spiralförmig verlaufen, sondern sich überschneiden. Beim Abspielen der Platte sucht sich die Nadel also zufällig ihren Weg und bestimmt so den Verlauf der Musik. Der Plattenspieler ist hier also – jedes Mal erneut und jedes Mal anders – als automatenhaftes Instrument an der Klangproduktion und Komposition beteiligt. Um solche Platten herstellen zu können, ist Lorenz auf die Zusammenarbeit mit Spezialisten wie Jan Zimmermann aus Berlin angewiesen. Er beherrscht besondere Vinylschnitttechniken und nimmt in Kauf, dass auch mal eine Schneidenadel bricht.
In Schallplattenklänge eingreifen
Das Label DUMPF ist eng mit der künstlerischen Arbeit seines Gründes Martin Lorenz verknüpft. Mit Clubsounds und Hip-Hop im Kopf kam die Vinylfaszination während seines Studiums auf: «Ich wollte mein Schlagzeuginstrumentarium erweitern und war von den Sounds des Scratchings begeistert. Ich habe dann einige Scratching Tutorials auf VHS-Kassette studiert und schnell gemerkt, dass ich die Meisterschaft darin wohl nie erreichen werde und auch diesen musikalischen und sozialen Hintergrund nicht teile.» Im Scratching sah Lorenz eine Möglichkeit, den Klang der Platte nachträglich zu manipulieren, ohne den Plattenspieler durch Interfaces zu verfremden oder durch Computerprogramme zu jagen: «Als Performer ein technologisch so primitives Instrument wie den Plattenspieler in einem Setup durch aufwändige Computer-Technologien zu ergänzen wäre medialer Unsinn, da kann man die Plattenspieler gleich durch ein Laptop ersetzen.» Bis heute ist Lorenz auf eine Interaktion mit dem Medium der Schallplatte aus und sucht nach der spezifischen Klanglichkeit des Vinyls, gleichzeitig will er sich abgrenzen von Turntablisten wie Milan Knizak und Christian Marclay, die die Platten zerschneidet und neu zusammensetzten oder dem Techno-Musiker Thomas Brinkmann, der in die Endlosrillen der Platten loopartige Strukturen ritzt.
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Zu seiner eigenen Klangsprache fand Lorenz dann, als er auf seine Elektronik-Erfahrung zurückgriff – insbesondere auf die Arbeit mit Sinustönen — und sie mit den analog-mechanischen Techniken der Turntablisten verband. Der Weg zu seiner Komposition durchläuft bei ihm somit drei Stufen. Ungewöhnlich ist bereits der Anfang des Weges: am Computer organisiert er Sinustonfolgen nach algorithmisch erzeugten Zeitabständen, die jeweils Vielfache der LP-Umdrehungsgeschwindigkeit von 33 1/3 rpm sind. Für diesen mikrozeitlichen Bereich benutzt er ein Verfahren, mit dem er die Hertzzahlen präzise genau berechnen kann. Die Berechnung bedingt den Computer, womit die Klänge in der ersten Phase digital – oder virtuell, wie Lorenz es nennt – erzeugt werden. Der Sinuston ist nicht nur für dieses mathematisch exakte Grundgerüst prädestiniert, Lorenz hält ihn aber für einen neutralen Klang-Rohstoff: «Ich wollte eine Kategorie Sounds, die klar einzugrenzen ist.» Seine Sinuston-Komposition lässt er als Abschluss der ersten Phase dann auf Schallplatte pressen.
Im zweiten Schritt setzt er im Geiste des Bauhaus-Malers, Designers und Fotografen László Moholy-Nagy (1896 – 1946) eine «Ritzen-Handschrift» ein (siehe auch Essay von Luc Döbereiner): gemäss seiner Partitur ritzt er mit einem Skalpell und speziellen Schablonen geometrische Formen in die Platte mit der Sinuston-Komposition: «Ich hinterlasse mechanisch-analoge Spuren in der digitalen Wellenform, die später zu einem Klang verschmelzen.» Im dritten Schritt kommt die performative Komponente hinzu: entweder inszeniert er den manischen, kunsthandwerklichen Vorgang des Ritzens als Performance oder er kombiniert mehrere geritzte Platten zu einem DJ-Set.
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DUMPF soll breiter werden
DUMPF ist nicht nur eines der vielen Labels, das auf den seit ca. 2005 bestehenden Vinyl-Hype aufspringt. Die DUMPF-Edition ist mehr als nur experimentelle Musik auf Schallplatten, sondern knüpft an das Selbstverständnis und den Experimentiergeist der Turntablisten an. «Das Label war eigentlich mal ein Hirngespinst. Aber dann habe ich mich daran gewöhnt und es irgendwann gemacht» blickt Lorenz auf die DUMPF-Gründung zurück. Die Idee war auch nicht nur uneigennützig, denn das Label erlaubt ihm, seine eigenen Projekte kompromisslos zu realisieren. Die klare Linie der DUMPF-Releases ergibt sich daraus, dass Lorenz vor allem Musikerinnen und Musiker aus seinem Umfeld anfragt, deren Ansätze mit seinen eignen verwandet sind. Lorenz schwebt vor, dass sich DUMPF musikalisch mehr und mehr öffnet und auch andere Medien vom Reproduzenten zum Produzenten befördert. Bei dem Zürcher sprudeln da bereits die Ideen: «Wie wäre es mal mit einer CD, die per Shuffle-Funktion komponiert? Oder eine Komposition für Endlos-Kassette?»
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeitschrift dissonance Nr. 125.